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Grundlagen zum AGG
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Benachteiligung wegen mangelnder Sprachkenntnisse
Mitte 2015 waren zwei Landesarbeitsgerichte (LAG) mit der Frage befasst, ob Stellenausschreibungen gegen das Benachteiligungsverbot
verstoßen, wenn sie besondere Anforderungen an die Sprachkenntnisse des Bewerbers stellen.
- Das LAG Hessen hat entschieden, dass die Anforderung „Deutsch als Muttersprache" in einer Stellenausschreibung
Bewerber mit einer anderen Muttersprache wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt (Urteil vom 15.06.2015, Az. 16 Sa 1619/14). Das LAG hat den Arbeitgeber verurteilt,
3.200 Euro (zwei Bruttomonatsgehälter) an den abgelehnten Bewerber zu bezahlen. Das Urteil ist rechtskräftig,
die Revision des Arbeitgebers hatte beim Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg (Urteil vom 29.06.2017, Az. 8 AZR 402/15).
- Demgegenüber hat das LAG Hamburg angenommen, dass die Anforderung „sehr gute Englischkenntnisse" keine Benachteiligung
darstellt (Beschluss vom 19.05.2015, Az. 5 Sa 79/14).
Das LAG hat der abgelehnten Bewerberin keine Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das klageabweisende Urteil
des Arbeitsgerichts bewilligt.
Beide Entscheidungen sind richtig, trotz der unterschiedlichen Ergebnisse. Dabei spielt es keine Rolle, dass es im einen Fall
um Deutsch- und im anderen Fall um Englischkenntnisse ging. Entscheidend ist stattdessen, dass die Anforderung „Muttersprache"
einen Bewerber mit einer anderen Muttersprache unmittelbar benachteiligt (unabhängig davon, welche Muttersprache verlangt wird),
die Anforderung „sehr gute Kenntnisse" einer bestimmten Sprache dagegen „nur" eine mittelbare Benachteiligung darstellen kann
(unabhängig davon, um welche Sprache es geht).
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Das AGG unterscheidet unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen (§ 3
Abs. 1 und 2 AGG).
- Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn der Betroffene wegen eines Diskriminierungsmerkmals ungünstiger behandelt wird.
So ist es bei der Anforderung „Muttersprache". Diese Anforderung kann nur erfüllen, wer die entsprechende ethnische Herkunft
hat. Eine unmittelbare Benachteiligung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Anforderung entscheidende Bedeutung
für die Berufsausübung hat (§ 8 Abs. 1 AGG).
Die Anforderung „Muttersprache" wäre also nur dann zulässig, wenn die Tätigkeit tatsächlich nur von einem
Muttersprachler geleistet werden könnte. Aber auch dann, wenn die Tätigkeit perfekte Deutschkenntnisse erfordert,
muss die Stelle nicht notwendig mit einem Muttersprachler besetzt werden (so auch Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 11.02.2009, Az. 55 Ca 16952/08).
- Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn nach scheinbar neutralen Kriterien unterschieden wird, diese Kriterien aber
bei bestimmten Personen deutlich häufiger vorhanden sind. So ist es bei der Anforderung „sehr gute Kenntnisse"
einer bestimmten Sprache. Solche Kenntnisse kann zwar grundsätzlich jeder haben (deshalb keine unmittelbare Benachteiligung), Personen
mit entsprechender ethnischer Herkunft sind dabei aber klar im Vorteil. Eine mittelbare Benachteiligung ist schon dann
zulässig, wenn die Anforderung sachlich gerechtfertigt ist (§ 3 Abs. 2 AGG). Die Anforderung „sehr gute Kenntnisse" einer bestimmten Sprache
ist deshalb zulässig, wenn es dafür gute Gründe gibt (siehe LAG Nürnberg,
Urteil vom 05.10.2011, Az. 2 Sa 171/11, und
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.01.2016, Az. 19 Sa 27/15,
mit der Besonderheit, dass dort „sehr gute Kenntnisse" in zwei Sprachen - Deutsch und Englisch - gefordert wurden).
Im Prozess muss der Arbeitgeber die Tatsachen darlegen und beweisen, welche die Rechtfertigung begründen (BAG, Urteil vom 15.12.2016, Az. 8 AZR 454/15).
Diese Grundsätze der mittelbaren Benachteiligung werden von den Arbeitsgerichten nicht immer beachtet.
- Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 26.09.2007, Az. 14 Ca 10356/07)
hat irrig angenommen, dass es niemals eine mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft sein könne, wenn ein Bewerber
mit Migrationshintergrund wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht berücksichtigt wird. Das Arbeitsgericht hat sich dadurch die im dortigen Fall
gebotene Prüfung erspart, ob die ausgeschriebene Stelle tatsächlich besondere Deutschkenntnisse erfordert. Die Ablehnung eines Stellenbewerbers
wegen mangelnder Deutschkenntnisse kann nämlich sehr wohl eine mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft sein, wenn die Tätigkeit
auch ohne besondere Deutschkenntnisse ausgeübt werden kann (siehe hierzu meine Urteilsanmerkung in AuR 2008, 112; hierzu auch
BAG, Urteil vom 28.01.2010, Az. 2 AZR 764/08, Rn. 17, und
Urteil vom 22.06.2011, Az. 8 AZR 48/10, Rn. 40).
- Zutreffend deshalb das Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 26.01.2010,
Az. 25 Ca 282/09), das einem wegen mangelnder Deutschkenntnisse abgelehnten Bewerber eine Entschädigung i.H.v. 5.400 Euro
(drei Bruttomonatsgehälter) zugesprochen hat, weil es nicht erforderlich ist, dass ein Postzusteller die deutsche Sprache
weitgehend akzentfrei spricht. Eine für die reibungslose Kommunikation mit den Kunden, dem Arbeitgeber und den Kollegen
hinreichende Sprachkenntnis in Wort und Schrift reicht aus.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich bereits mit dem Thema „Benachteiligung wegen mangelnder Sprachkenntnisse" befasst.
- Der Arbeitgeber verfolgt ein sachlich gerechtfertigtes Ziel i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG, wenn er von seinen Arbeitnehmern Kenntnisse der deutschen Schriftsprache
verlangt, damit sie schriftliche Arbeitsanweisungen verstehen und die betrieblichen Aufgaben so gut wie möglich erledigen können.
Verweigert der Arbeitnehmer einen hiernach gebotenen Deutschkurs, verstößt der Arbeitgeber nicht gegen das AGG,
wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt (BAG, Urteil vom 28.01.2010,
Az. 2 AZR 764/08).
- Die Aufforderung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, an einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse
zu erwerben, stellt keinen Verstoß gegen das AGG dar. Dies soll auch dann gelten, wenn der Deutschkurs
arbeits- und tarifvertragswidrig außerhalb der Arbeitszeit und auf eigene Kosten des Arbeitnehmers absolviert werden soll
(BAG, Urteil vom 22.06.2011, Az. 8 AZR 48/10).
Unabhängig vom AGG gilt, dass der Arbeitgeber die Unterzeichnung eines in deutscher Sprache abgefassten schriftlichen Arbeitsvertrags auch dann
als Annahmeerklärung verstehen darf, wenn der Arbeitnehmer der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist
(BAG, Urteil vom 19.03.2014, Az. 5 AZR 252/12 (B)).
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Mindestkörpergröße als Einstellungsvoraussetzung
Diskriminierung im Mietrecht
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Rechtsanwalt Arne Maier, Schlehenweg 21, 73733 Esslingen
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